Im Wandel
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Florian Kuhn
„Ich bin sehr stolz auf die Integrationskraft meiner Belegschaft. “
Florian Kuhn, Geschäftsführer, Kuhn Elektro-Technik GmbH
Wie ist Ihre Idee entstanden?
Wir bauen Gebäude von hoher technischer Komplexität. In der allgemeinen Vorstellung sind das alles Fachkrafttätigkeiten. Wenn ich aber die Arbeitsstunden der Belegschaft zusammenzähle, dann muss man nur für einen kleinen Teil davon formal eine Fachkraft sein. Wir verlegen zum Beispiel auf einer großen Klinikbaustelle knapp 1,5 Millionen Meter Kabel. Dafür muss ich keine Ausbildung haben. Ich muss verstehen, was zu tun ist und welche Regeln einzuhalten sind. Danach montieren wir dort Geräte, meistens mit nur einer Handvoll Schrauben, auch dafür muss ich keine Fachkraft sein. Um das hinterher in Betrieb zu nehmen, Messergebnisse zu beurteilen oder die Brandmeldeanlage zu programmieren, muss man selbstverständlich eine Fachkraft sein. Meine Idee war: Es gibt so viele Arbeitslose und darunter muss es auch Personen geben, die für genau diese Aufgaben geeignet sind. Das entlastet die Fachkräfte, sie können sich auf die Aufgaben konzentrieren, für die tatsächlich eine Ausbildung nötig ist.
Wie viele Mitarbeiter haben Sie so gewonnen?
Wir haben 11 Mitarbeiter gewonnen. Das ist zunächst vielleicht keine beeindruckende Zahl.
Aber es sind Leute dabei, die in ihrem Aufgabenbereich tragende Säulen geworden sind. Ein Beispiel: Einer der Mitarbeiter kommt aus einem afrikanischen Land und war eine Zeit lang arbeitslos. Er übernimmt auf der Baustelle Montagetätigkeiten, bei denen er von einem Elektriker gar nicht mehr zu unterscheiden ist. Er wird jetzt über den zweiten Bildungsweg zur Fachkraft ausgebildet. Ein anderer Mitarbeiter war kurze Zeit selbstständig, hatte mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen und wurde arbeitslos. Er managt jetzt im Büro die Logistik von Baustellen.
Das Spektrum unter diesen Menschen ist groß. Von den 11 sind mindestens 6 oder 7 dabei, wo ich sage, die bringen mich weiter. Und versuch mal als Mittelständler in München 7 Leute zu kriegen, die dich weiterbringen! Ich will das nicht romantischer darstellen, als es ist, es gab auch Rückschläge. Aber unterm Strich sind alle mit unterschiedlicher Gewichtung eine Bereicherung für das Unternehmen.
War es schwer, ihre Mitarbeiter zu überzeugen?
Nein. Ich bin sehr stolz auf die Integrationskraft meiner Belegschaft. Nationalität, Religion, kultureller Hintergrund, all das spielt bei uns keine große Rolle. Und insgesamt hat es zur Kohäsion und Identifikation im Unternehmen beigetragen. Die Leute wissen es zu schätzen, dass wir uns auch um andere Dinge kümmern, nicht nur ums nackte Geldverdienen.
Eignet sich das Modell auch für andere Unternehmen?
Mein Unternehmen ist ein Prototyp, der sehr gut funktioniert. Zusammen mit Gleichgesinnten versuche ich nun, auch andere Betriebe zu überzeugen. Denn es ist ein guter, nahezu risikofreier Ansatz, von dem alle profitieren. Ist ein Unternehmen interessiert, beschreiben wir beim Jobcenter die Tätigkeiten und fragen nach Arbeitslosen, die Interesse haben, sie zu übernehmen. Die ausgewählten Personen können dann einen Monat lang im Betrieb Probearbeiten, ohne großen bürokratischen Aufwand. Wenn es funktioniert, erhalten sie danach einen regulären Arbeitsvertrag. Gibt es Probleme mit den Arbeitslosen, merkt man das in der Regel schon am ersten Tag oder in der ersten Woche.
Aber es löst den Fachkräftemangel nicht?
Es ist ein zusätzliches Instrument. Alles andere, Aus- und Weiterbildung, normales Recruiting läuft ja weiter. Wir haben in Deutschland einen totalen Fachkraft-Fetisch. Am Ende des Tages ist Fachkräftemangel nicht der Kern des Problems. Das originäre Problem sind unverrichtete Tätigkeiten.
Die Transformation wird disruptiver und schneller werden. Wie viele Taxifahrer, Radiologen oder Anwälte brauchen wir in 10 – 15 Jahren noch? Wenn sich dann ein Job verändert oder wegfällt, können wir diese Personen nicht wieder zu einer Fachkraft machen. Dann habe ich eh schon zu wenige Leute und buche sie drei oder vier Jahre aus der Wertschöpfung aus.
Wir brauchen die Kompetenz, in der täglichen Arbeit umzuschulen, anzulernen, wertschöpfend zu integrieren und zu qualifizieren. Wenn wir es als Unternehmen schaffen, Personen die der Transformation unterliegen, in eine sinnvolle Tätigkeit zu bringen, die ihnen Freude macht, dann wird der Sozialstaat entlastet, die Menschen haben ein selbstbestimmtes Leben und der Arbeitsmarkt wird unterstützt. Mit diesem übergeordneten Ziel ist die Integration von Arbeitslosen nur ein Segment und funktioniert für andere Qualifikationsstufen ebenso.