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Interview

Mut
zur Lücke

 

Fachkräfte sind knapp. Gleichzeitig wird in Unternehmen immer spezialisierter und mit einem hohen Grad an Arbeitsteilung gearbeitet. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, wenn Arbeitgeber sich damit befassen, welche Fähigkeiten für bestimmte Positionen tatsächlich benötigt werden, findet Dr. Martin Noack von der Bertelsmann Stiftung.  Der Weiterbildungsexperte erklärt die Idee der Teilqualifikationen, von der Arbeitgeber wie Jobsuchende profitieren können.

Dr. Martin Noack

„Das Thema Qualifizierung muss von Anfang an mitgedacht werden. ”

Dr. Martin Noack, Senior Expert Betriebliche Bildung und Weiterbildung, Bertelsmann Stiftung

Was sind Teilqualifikationen?

Teilqualifikationen sind in der Regel fünf bis sechs Teile eines vollständigen Berufsprofils, die einzeln prüfbar, erlernbar und am Arbeitsmarkt verwertbar sind. In ihrer Summe bilden sie alle Kenntnisse und Fähigkeiten ab, die zu einem Beruf gehören.

Worin liegen die Vorteile von TQ?

Absolvierte Teilqualifizierungen erhöhen die Chancen für Jobsuchende deutlich und sind für die berufliche Wiedereingliederung nahezu gleich förderlich wie komplette Umschulungen, die statt zwei bis sechs Monate mindestens zwei Jahre dauern. Unternehmen können offene Stellen in einem angespannten Arbeitsmarkt schneller und passender besetzen, wenn sie explizit die Teilqualifikationen ausschreiben, die sie aktuell brauchen. Das sind bei Hilfskraftstellen im Durchschnitt 1 – 2, bei Fachkraftstellen 3 – 4 Teilqualifikationen pro Stelle.

Sind Unternehmen bereit, sich darauf einzulassen?

In der aktuellen Situation am Arbeitsmarkt sind viele Unternehmen flexibler, was die Anforderungen an neue Beschäftigte angeht, solange diese die zentralen Kompetenzen mitbringen. Teilqualifikationen sind hier ein nützliches Instrument, um Transparenz auf beiden Seiten herzustellen, den Anforderungen in der Stellenanzeige und den Kompetenzen in der Bewerbung. Das erkennen wir zum Beispiel daran, dass über 80 Prozent der in einer groß angelegten Unternehmensbefragung interviewten Personalmanager erklären, grundsätzlich bereit zu sein, auch Menschen einzustellen, die keinen Berufsabschluss besitzen, sondern nur über Teilqualifikationen verfügen.

Gleichzeitig können wir schon heute mittels künstlicher Intelligenz die Nachfrage nach Teilqualifikationen aus Stellenanzeigen extrahieren. Das heißt, im Prinzip suchen Unternehmen schon heute nach TQs – sie nennen diese Kompetenzbündel nur noch nicht explizit so.

Was muss sich bei der Personalauswahl ändern?

Das Thema Qualifizierung muss von Anfang an mitgedacht werden. Unternehmen sollten sich nicht nur fragen: „Wen habe ich da vor mir?“, sondern auch gleich: „Wohin kann ich diesen Menschen entwickeln?“ Und dann einen entsprechenden Qualifizierungspfad gleich mitplanen. Das ist vor allem bei Menschen wichtig, die auf dem ersten Bildungsweg noch keinen Berufsabschluss erworben haben. Der Start einer solchen Weiterbildungslaufbahn sollte immer in einer umfassenden Kompetenzfeststellung liegen, denn hierzulande legen wir einen viel zu großen Wert darauf, wie jemand etwas gelernt hat – ob formal in der Ausbildung oder informell am Arbeitsplatz – und nicht genug darauf was die Person für Kompetenzen erworben hat.

Benötigen Beschäftigte im Recruiting neue Kompetenzen?

Das Thema stärken- bzw. ressourcenorientierte Kompetenzerfassung wird in Zukunft eine größere Rolle spielen müssen als bisher. Sowohl die Kompetenzen von Bewerberinnen und Bewerbern als auch die der vorhandenen Belegschaft müssen systematisch erfasst und weiterentwickelt werden. Nur so können Unternehmen den Herausforderungen des multiplen Strukturwandels angemessen begegnen.

Welche Rolle wird die Berufsausbildung in Zukunft spielen?

Die klassische Berufsausbildung wird neben der akademischen Bildung weiterhin die zentrale Rolle in der nachschulischen Bildung spielen. Die hohe Bindung von Auszubildenden an ihren Betrieb und umgekehrt, die hohe Flexibilität des Einsatzes vollqualifizierter Arbeitskräfte und die klare Transparenz der erwartbaren Kompetenzen werden auch in Zukunft über die Landesgrenzen hinaus eine enorme Strahlkraft entfalten. Wir brauchen allerdings zusätzlich ein zweites Ausbildungssystem für Menschen, die älter als 25 Jahre sind und weder eine berufliche noch eine akademische Ausbildung abgeschlossen haben. Für sie benötigen wir einen flexibleren Ansatz. Dieser besteht idealerweise in überschaubaren Schritten mit klaren und wiederholten Erfolgserlebnissen sowie der Möglichkeit, zwischen den Bildungsschritten Phasen der gut bezahlten Beschäftigung einzulegen. Ein solches zweites Ausbildungssystem für Erwachsene sollte auf Teilqualifikationen aufbauen.

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